Henricus de Gandavo Heinrich von Gent, Henri de Gand, Henricus Archidiaconus, Henricus Bonicollius, Henricus Gandavensis, Henricus Mundanus, Henricus Tornacensis, Henry of Ghent
Biographische Daten:
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Er war als "Doctor solemnis" bekannt. - ------
Weltkleriker. - vor 1240
Das genaue Geburtsjahr ist unbekannt. "[T]he dates usually ascribes, but without any objective foundation, are 1217 and 1223" [Porro (1996), 377]. Er ist aber vor 1240 geboren, denn man mußte mindestens 35 Jahre alt sein, um magister theologiae in Paris werden zu können und er wurde eben 1276 zum Magister promoviert. Er ist wohl in Gent geboren und entstammt einer dort ansäßigen Handwerkerfamilie, die den Schneiderberuf ausübte [das ist allerdings umstritten: Vgl. Porro (1996), 376, Anm. 8]. Nach Schönberger: geboren um 1217 in Gent. - ca. 1260
Studium in Tournai [in der Kathedrale von Tournai (Doornick)]. "Er erhiel dort vielleicht eines der zahlreichen Stipendien für Scholaren, die später ein Studium der Theologie in Paris aufnehmen sollten. Keiner seiner Lehrer ist namentlich bekannt" [Laarmann (1999), 21; mit Verweis auf Pegues (1957)]. Anschließens Studium in Paris (Artisten-Fakultät) (wohl bis1270). - Anfang 1265
Er befindet sich in Paris, wie man einer eigenen Notiz entnehmen kann. Vgl. Quodl. XIII, 14 [Decorte (1985),149, 2-9]: "Occasione disputationum et altercationum, quas magistri Parisienses habebant inter se de perfectione statuum maiori vel minori, audivi dominum papam Clementem, cum adhuc esset legatus, ad dirimendum dictas altercationes in quadam praedicatione sua praeferre simpliciter statum praelatorum statui religiosorum, 'licet forte' - ut dicebat - 'ipsi praelati non congruerent in omnibus statui suo, sed essent multi ex eis congruentius subditi quam praelati'. Et hoc dicebat exponendo illud Ecclesiastae, X°: 'Vidi servos in equis et principes ambulare super terram'". Heinrich bezieht sich dabei auf Guido Fulcodi, den nachmaligen Papst Clemens IV., der sich Anfang 1265 in Paris auf der Rückreise von einer Legation nach England aufhielt [Vgl. Macken (1979), viii-ix]. - seit 1267
Stiftsherr von Tournai. Vgl. eine in Tournai verfegtigte Urkunde (1267), in der es heißt: "Conventio, quod de domo Ioannis Godelens non possit haberi prospectus in domum magistri Henrici de Gandavo, canonici Tornacensis" [De Pauw (1889), 106-107; Pycke (1988), 49]. Daraus darf "geschlossen werden, daß Heinrich sich wohl bis 1270 an der Artistenfakultät aufhielt und dort zuletzt als 'magister artium' tätig gewesen war. So spielte sich bereits die Pariser Verurteilung von 1270 in Heinrichs unmittelbarem Umfeld ab" [Laarmann (1999), 22]. - 1267 - 1270
H. ist an der Artisten-Fakultät in Paris tätig. - 1271
H. erwarb ein Quartier in einem Benediktinerkapitel in Paris [Laarmann (1999) 21, mit Verweis auf Glorieux (1965)]. - 1276 - 1292
Magister actu regens an der Theologischen Fakultät der Universität Paris. H. disputiert sein erstes Quodlibet 276. - 1277
"Some manuscripts of the second 'Quodlibet', dated 1277, indicate him as the Archdeacon of Bruges" [Porro (1996), 378].
"Im Jahre 1276, spätestens ab dem 4. Juli 1277 ernannte man ihn Archidiakon von Brügge, eines damaligen Teils des Bistums Tournai" [Laarmann (1999), 23]. - 1277
"In 1277 he was part of the committee of theologians convened by bishop Tempier in view of the notorious condemnation, promulgated on 7 March, of 219 propositions held erroneous, and he was somehow implicated in the shortly following condemnation of his great adversary Giles of Rome who ... was forced to leave Paris temporarily" [Porro (1996), 379-380].
Laarmann dazu [(1999), 28-29]: "Anfang 1277 gehörte er bei angemessener Einschätzung seiner eigenen Aussage nicht - wie sehr oft angenommen - der vom Pariser Bischof Stephan Tempier geleiteten Gutachtenkommission an, die die an der Artistenfakultät gelehrten Irrtümer gegen den christlichen Glauben untersuchen sollte und das am 7. März 1277 promulgierte Verurteilungsdekret erstellt hatte, sondern war wohl bloß Teilnehmer an der vom selben Bischof vorab einberufenen Magisterversammlung. [Laarmann verweist auf Miethke (1976), 86, Anm. 148]. Es ist noch weitgehend im Unklaren, wie seine genaue Rolle bei der Verurteilung von 1277 ausgesehen hat, ob und wie er an der Ausarbeitung dieses Dokuments beteiligt war. Ähnliches gilt auch für die 1277 erfolgte Verurteilung des Aegidius Romanus OESA [Laarmann verweist hier auf Wielokx (1985)]."
Vgl. Henricus, Quodl. II, q. 9 (Ed. Wielockx, 67, 21-24): "In hoc enim concordabant omnes magistri theologiae congregati super hoc, quorum ego eram unus, unanimiter concedentes quod substantia angeli non est ratio angelum esse in loco secundum substantiam". - 1279 - 1293
Archidiakon in Tournai (d.h. bis zum Ende seines Lebens). - 1284
"In 1284 he was chosen by Simon of Brion, who had become Pope Martin IV, as a collaborator of the bishops of Amiens and Perigueux in order to resolve a new conflict of competence between the University and the chancellor, Philip of Thory" [Porro (1996), 380, mit Verweis auf Ehrle (1885), 392 bzw. Delhaye (1887), 70-71]. - 1287
"In 1287 he was ... present in Ghent, together with William de La Vacherie, at the solemn publication of the appeal that the famous Count of Flanders, Gui de Dampierre, addressed to the Pope to escape the excommunication pronounced toward him by the pontifical delegate in Germany, in the event that he would refuse to restore the feudal estates of imperial Flanders to Jean d'Avesnes" [Porro (1996), 380, mit Verweis auf Picke (1986), 317-318]. - 23 Juni 1293
Gestorben. "His name appears in the obituary of the Cathedral of Tournai under the date of June 1293, an indication also confirmed by other documents and by the 'Chronicon' of John of Thielrode" [Porro (1996), 378-379, mit Verweis auf Heller (1880), 573 und Pycke (1988), 51]. Nach Schönberger: gestorben am 29.06.1293 in Tournaix. - ------
"Ein dringliches pastorales Anliegen Heinrichs war die Betreuung des beginentums, das in seiner Diözese stark verwurzelt war. Die Dokumente zeigen ihn sogar als einen der Förderer und Protektoren dieser neuen geistlich-sozialen Bewegung von Frauen meist adlig-patrizischer Herkunft und gehobener Bildung..." [Laarmann (1999), 24].
"Versuchte Heinrich - nicht unähnlich einem Meister Eckhart - durch die Entfaltung einer strikt theologischen Doktrin nicht auch auf die in der Pastoral erfahrenen Probleme mystischer Gotteserfahrung zu antworten, indem er sie in ein kirchlich toleriertes und theologisch probables Argumentationsgefüge ein kirchlich toleriertes und theologisch probables Argumentationsgefüge einzugliedern bemühte?" [Laarmann (1999), 24-25, Anm. 41]. - ------
Der Karmelit Gerard von Bologna studierte bei ihm (wie auch bei Aegidius Romanus). - ------
Seine Lehrer in der Theologie sind wohl Wilhelm von Auvergne (um 1180-1249) und Gottfried de Barro (gestorben 1287) gewesen [Paulus (1967), 1035]. "Hinsichtlich Wilhelms von Auvergne dürfen diese Spekulationen wohl eher in doktrineller als in historischer Hinsicht gelten" [Laarmann (1999), 23]. - ------
Seine "Zeitauffassung ist "vor allem in der Franziskanerschule die herrschende geworden" [Maier (1955), 54]. - ------
Heinrich von Gent ist Lehrer des Gottfried von Fontaines. Auch Servais du Mont-Saint-Eloi ist Lehrer des Gottfried von Fontaines gewesen. - ------
"Es ist gut vorstellbar, daß ... Bonaventura ... ihm begegnet ist" [Laarmann (1999), 22].
Vgl. Quodl. VII, 24 (Ed. Wilson 202, 57-58): "alius venerabilis doctor, dominus Bonaventura". - ------
"Es ist gut vorstellbar, daß er ... Thomas, den Heinrich persönlich sehr geschätzt haben muß, während dessen ersten Pariser Aufenthalts 1252-59 selbst gehört hat" [Laarmann (1999), 22].
Stellen, bei denen er sich auf Thomas bezieht:
Quodl. VII, 24 (Ed. Wilson, 202, 37-38): "venerabilis doctro frater Thomas bonae memoriae" Quodl. XIII, 14 (Ed. Decorte 148, 68): "quidam doctor religiosus valde excellens"
Robert von Colletorto (= Robert von Oxford) OP hat allerdings eine thomistische Gegenschrift gegen Heinrich verfaßt: "Contra Quodlibetum Henrici de Gandavo". Und seine Gegenerschaft zu Aegidius Romanus ist bekannt. - ------
Quellen [nach Laarmann (1999), 54-59; vgl. Macken (1978)].
PHILOSOPHISCHE QUELLEN:
- Aristoteles und dessen Kommentator Averroes. Sie werden "auf nahezu jeder Seite des henrizanischen Oeuvre zitiert" [Laarmann (1999), 55].
- Plato. "überaus häufig wird auf Platon verwiesen" [Laarmann (1999), 55].
- Avicenna. "Der unangefochtene Vorzugsautor unter den philosophi" [Laarmann (1999), 55].
- Augustinus. "[...] ist bei Heinrich gleichsam omnipräsent" [Laarmann (1999), 56].
- Boethius (insb. die Hebdomadenschrift)
Die griechischen Kommentatoren des Aristoteles. "Ausgiebige Benutzung [Laarmann (1999), 57]. Darunter:
- Simplicius' Kommentar zu der 'Kategorienschrift" des Aristoteles
- Themistius' Kommentar zu den 'Zweiten Analytiken'
- Eustratios' von Nizäa Kommentar zur "Nikomachischen Ethik'
- Michaels von Ephesus Kommentar zur 'Nikomachischen Ethik'
Die lateinischen Neuplatoniker:
- Calcidius' Kommentar zum 'Timaios'
- Macrobius
Dazu noch:
- Liber sex principiis (Pseuo-Gilbertus Porretanus). "Oft benutzt" [Laarmann (1999), 57].
- Liber de causis bzw. Alberts des Großen 'De causis et processu universitatis a prima causa'. "Zur Erläuterung des oft zitierten 'Liber de causis' führte Heinrich - mit namentlicher Nennung - auch die Schrift 'De causis et processu universitatis a prima causa' des Albertus Magnus OP (um 1200-1280) an" [Laarmann (1999), 57].
antike lateinische Schriftsteller ("In zum Teil längeren Auszügen trug Heinrich antike lateinische Schriftsteller vor, meistens philosophische Autoren wie Cicero (106-43) oder Seneca (4 v.Chr. - 65 n. Chr.), aber auch antike Fachautoren wie den Militärschriftsteller Vegetius (um 383-um 450) und den Mediziner Galen" [Laarmann (1999), 57-58].:
THEOLOGISCHE QUELLEN:
- Augustinus spielt "die überragende Rolle" [Laarmann (1999), 58].
Weitere christliche Neuplatoniker der Patristik:
- Ambrosius - Hieronymus
- Gregor der Größe
Nicht so oft zitiert wie die eben genannten sind nun folgende Autoren:
- Boethius
- Dionysius Areopagita
- Johannes Damascenus
- Origenes, "überraschend häufig" [Laarmann (1999), 58].
- Johannes Eriugena (Kommentare zu Dionysius)
Theologe späterer Epochen:
- Anselm von Canterbury
- Bernhard von Clairvaux
- Gilbertt von Poitiers
- Hugo von St. Viktor
- Richard von St. Viktor
- Alanus ab Insulis
Theologe seines Jahrhunderts:
- Er hat explizit Thomas von Aquin und Bonaventura genannt.
- 'Summa fratris Alexandri' (des Franziskaners Alexander von Hales - allerdings nur teilweise von ihm verfaßt): "Der gut belegbare allgemeine Einfluß" [Laarmann (1999), 59].
- Zu Einzelthemen sind auch andere franziskanische Autoren bedeutsam: Richard Rufus, Guibert von Tournai, Walter von Brügge und Wilhelm de la Mare.
Bibliographie:
- De Pauw, N., "Dernières découvertes concernant de docteur Solennel, Henri de Gand, fils de Jean le Tailleur (formator ou de Sceppere)". 1889..
- Decorte, J. (Ed.), Henrici de Gandavo Opera omnia XVIII: Quodlibetum XIII, Löwen / Leiden 1985.
- Delehaye, H., "Nouvelles recherches sur Henri de Gand. III", in: Messager des Sciences Historiques de Belgique 61 (1887), 59-85.
- Ehrle, Fr., "Heinrich von Gent (Beiträge zu den Biographien berühmter Scholastiker, I)", in: ALKGMA 1 (1885), 365-401. 1885.
- Glorieux, P., Aux origenes de la Sorbonne, II: Le Cartulaire, Paris 1965, 336-338.
- Heller, J. (Ed.), Ioannes de Thielrode, Chronicon Monasterii sancti Bavonis [1294?]. Hannover 1880 [MGH.SS 25].
- Laarmann, M., Deus, primum cognitum. Die Lehre von Gott als dem Ersterkannten des menschlichen Intellekts bei Heinrich von Gent. Münster 1999 [BGPhMA. Neue Folge 52].
- Lohr, Charles: Medieval Latin Aristotle Commentaries, in: Traditio 24 (1968), 149-245.
- Macken, R. (Ed.), Henrici de Gandavo Opera omnia V: Quodlibetum I, Löwen / Leiden 1979.
- Macken, R., "Les sources d'Henri de Gand", RPL 76 (1978), 5-28.
- Maier, A., Studien zur Naturphilosophie der Spätscholastik, IV, Rom 1955.
- Miethke, J., "Papst, Ortsbischof und Universität in den Pariser Theologenprozessen des 13. Jahrhunderts", in: MM 10 (1976), 52-94.
- Paulus, J., "Henry of Ghent", in: NCE VI (1967), 1035-1037.
- Pegues, F., "Ecclesiastical Provisions for the Support of Students in the Thirteenth Century", in: ChH 26 (1957), 307-318.
- Porro, P., "An Historioghraphical Image of Henry of Ghent", in: W. Vanhamel (Hg.), Henry of Ghent. Proceedings of the International Colloquium on the Occasion of the 700th Aniversary of his Death (1293), Leuven 1996, 373-403.
- Pycke, J., Le Chapitre Cathédral Notre-Dame de Tournai de la fin du XIe à la fin du XIIIe siècle. Son organisation, sa vie, ses membres, Louvain-la-Neuve; Brüssel 1986.
- Pycke, J., Répertoire biographique des chanoines de Notre-Dame de Tournai, 1080-1300. Louvain-la-Neuve / Brüssel 1988.
- Schönberger, R.: "Heinrich von Gent"; in: Volpi, Franco (Hrsg.): Großes Werklexikon der Philosophie, 1. Bd., Stuttgart 1999, 665/666.
- Weijers, Olga: Le travail intellectuel à la faculté des arts de Paris. Textes et maîtres (ca. 1200-1500), IV, Turnhout (Brepols) 2001 [Studia Aristarum, 9].
- Wielockx, R. (Ed.), Henrici de Gandavo Opera omnia VI: Quodlibetum II, Löwen / Leiden 1983.
- Wielockx, R., "Les 52 articles.à la lumière des doctrines de la faculté de théologie et d'Henri de Gand", in: id. (Ed.), Aegidius Romanus, Apologia (Opera omnia III/1), Florenz 1985, 121-178.
Allgemeine Notizen zu allen Werken:
Henrici de Gandavo Opera omnia [erschiene Texte fett]:
I–IV: Bibliotheca manuscriptorum
V: Quodlibet I
VI: Quodlibet II
VII: Quodlibet III
VIII: Quodlibet IV
IX: Quodlibet V
X: Quodlibet VI
XI: Quodlibet VII
XII: Quodlibet VIII
XIII: Quodlibet IX
XIV: Quodlibet X
XV: Quodlibet XI
XVI: Quodlibet XII, qq. 1–30
XVII: Quodlibet XII, q. 31
XVIII: Quodlibet XIII
XIX: Quodlibet XIV
XX: Quodlibet XV
XXI: Summa, art. 1–5
XXII: Summa, art. 6–10
XXIII: Summa, art. 11–15
XXIV: Summa, art. 16–20
XXV: Summa, art. 21–24
XXVI.1: Summa, art. 25–27
XXVI.2: Summa, art. 28-30
XXVII: Summa, art. 31–34
XXVIII: Summa, art. 35–40
XXIX: Summa, art. 41–46
XXX: Summa, art. 47–52
XXXI: Summa, art. 53–55
XXXII: Summa, art. 56–59
XXXIII: Summa, art. 60-62
XXXIV: Summa, art. 63-67
XXXV: Quaestones super VIII libros Physicorum (attr.)
XXXVI: Lectura ordinaria super Sanctam Scripturam (attr.)
XXXVII: Syncategoremata (attr.)
XXXVIII: Quaestiones variae
Werkliste:
nicht datiert | -- | De poenitentia Synonym: Summa necessaria audientibus confessiones, Summa utilis confessiones audientibus; Manuskript: Saint-Omer, Bibl. mun., 259; |
nicht datiert | - | In logicam Synonym: Logica; Manuskript: Padua, Canonicorum Lateranensium S. Joannis in Viridario; |
vor 1276, aber nicht vor 1268
vor 1276 - 1292 | ++ | Summa Synonym: Quaestiones ordinariae, Summa quaestionum ordinariarum, Summa theologica; |
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